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Literarische Begegnungen

Das Goethe-Projekt „Yollarda – on the Road“

Literarische Begegnungen

 

Mit dem Projekt „Yollarda“ belebt das Goethe-Institut den Austausch zwischen europäischen und türkischen Literaten

Von Canan Topcu

by Yollarda - on the Road

Diyarbakir wird Jutta Richter so schnell nicht vergessen. Weil sie so ergriffen war von dem Empfang, der ihr dort bereitet wurde. Weil sie an diesem Ort vor Kindern las und mit jungen Menschen sprach, die hungrig nach Büchern und Literatur sind. Der Schriftstellerin aus Deutschland wurde ein Empfang bereitet, wie sie ihn aus ihrer Heimat nicht kennt. Für sie war die Mensa des Anadolu-Gymnasiums in ein Auditorium umgewandelt worden. Die Schüler lauschten ganz gespannt, als die Kinderbuchautorin aus ihrem Buch „Der Hund mit dem gelben Herzen“ las. Und dann fragten sie ihr Löcher in den Bauch. Die Schüler hatten auf einmal Lust bekommen auf die deutsche Sprache und auf Gespräche mit der Deutschen. Jutta Richter wiederum werden die Zuhörer aus Diyarbakir so schnell nicht vergessen. Denn dass eine deutsche Schriftstellerin mehrere tausend Kilometer zurücklegt, um für sie zu lesen und um mit ihnen über Literatur und Bücher zu diskutieren, das kommt eigentlich nicht vor an diesem Ort. Eine einmalige Begegnung war der Besuch in Diyarbakir – für beide Seiten.

Von allein wäre Jutta Richter wohl kaum auf die Idee gekommen, sich für Lesungen auf den Weg in die östlichste Provinz der Türkei zu machen. Als Gast des Goethe-Instituts aber machte sich die 54-Jährige Anfang Mai 2009 auf die Reise. Denn in der türkischen Stadt startete das Goethe-Institut eines seiner größten Literaturprojekte der vergangenen Jahre. „Yollarda – On the Road – Unterwegs“ heißt die Tournee mit Stationen in 24 türkischen Städten. Die Route begann im Osten und führt in alle Regionen des Landes. Gefördert wird die Literatur-Tour durch das Programm „Culturel Bridges“ der Europäischen Union (EU), das wiederum teild der EU-Initiative „EU Literature goes Goes Turkey / Turkish Literatur goes Europe“ ist. Bis April 2010 reisen insgesamt 48 Autorinnen und Autoren aus Deutschland und Belgien, Bulgarien, Italien, Österreich, Rumänien, der Schweiz und Ungarn zu Lesungen in die Türkei. Umgekehrt werden ab Frühjahr 2010 16 türkische Schriftsteller in Sofia, Bukarest, Pécs, Wien, Venedig, Zürich, Essen und Brüssel Lesungen halten und mit den Besucherinnen und Besuchern diskutieren. In der belgischen Hauptstadt kommen am 22. Juni alle am Projekt beteiligten Autorinnnen und Autoren zu einer Gala zusammen.

In der Türkei hießen die Stationen, die nach Diyarbakir besucht wurden, Malatya, Gaziantep, Urfa und Van. Nach einer Sommerpause wird die Literatur-Tour im Herbst 2009 fortgesetzt – dann stehen Erzurum, Trabzon und Samsun auf dem Programm. Begleitet wird die Tournee von einem Bücherbus, der mit seiner Ausstattung die Nutzung des Internets ermöglicht und Lektüre bereitstellt – darunter Bücher der mitreisenden Autoren und Informationen über die Länder, aus denen sie kommen.

„Es ist nicht nur ein Literaturprogramm, dass wir zusammengestellt haben“, betont Çigdem Ikiisik, eine der Koordinatorinnen der Türkei-Tournee am Goethe-Institut Istanbul. Ganz bewusst sei darauf geachtet worden, unterschiedliche Sinne anzusprechen. Das Publikum werde nicht allein mit namhaften Autoren aus Europa zusammengeführt, sondern auch mit Musikern, Filmemacher, Fotografen und Künstler aus den acht Ländern, die sich an dem Projekt beteiligten. So finden in all den Orten, in den die Autoren lesen, auch andere kulturelle Veranstaltungen statt – etwa Konzerte und Ausstellungen, beispielsweise „Haymatloz – Wege in die Freiheit“ über deutsche Akademiker, die während des Nationalsozialismus' Exil in der Türkei fanden.

Die an dem Projekt beteiligten Autoren aus Deutschland bestimmte eine Jury des Goethe-Instituts. Ein Kriterium war besonders wichtig, erklärt Ikiisik: „Ihre Bücher müssen auch in türkischer Sprache vorliegen oder gerade übersetzt werden.“ Denn das Publikum solle die Möglichkeit bekommen, die Texte der Schriftsteller auf Türkisch zu lesen. Ausgewählt wurden unter anderem Thorsten Becker, Monika Maron, Hans-Ulrich Treichel, Uwe Timm, Ingo Schulze und die türkischstämmigen Autoren Zafer Senocak und Yadé Kara. Ikiisik begleitete die deutschsprachigen Autoren in alle Städte der ersten Etappe. Ihr war es wichtig, dass das Publikum vor allem aus Schülern und Studierenden besteht, weshalb viele Lesungen in Schulen und Universitäten stattfinden. Wenn die Kulturmanagerin aus Istanbul von den bisherigen Verantstaltungen spricht, vibriert ihre Stimme vor Begeisterung. „Wir haben unglaublich schöne Situationen erlebt“, berichtet die 50-Jährige und ist sich sicher, dass die Begegnungen für alle Beteiligten unvergesslich sind.

Was hat es für einen Sinn, deutschsprachige Autoren in Regionen einzuladen, in denen die Menschen häufig sehr existenzielle Sorgen haben? Diese Frage wird der Projektkoordinatorin immer wieder gestellt. „Eben deswegen“, lautet dann ihre Antwort. „Diese Menschen freuen sich wahnsinnig auf diese Ereignisse", sagt Ikiisik und nennt ein Beispiel aus Diyarbakir. Nach der Lesung sei ein Schulleiter aus der Nähe von Batman auf sie zugekommen und habe sie eindringlich gebeten, unbedingt auch in seiner Stadt eine Lesung zu veranstalten. „Wir sind hingefahren“, berichtet Ikiisik. Der Abstecher hat sich gelohnt: In der Aula der Schule waren mehr 400 Schüler versammelt, um Jutta Richter zuzuhören und mit ihr zu diskutieren.

20.07.09

 

 

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